Das Kirchlein im Walde - ein Gedicht von Jakob Magewirth
als
Thema einer Predigt von Pfr. Ingo Henrich zur Kirche Habenscheid
Liebe
Gemeinde aus nah und fern,
als Predigttext hab ich ausnahmsweise mal kein Bibelwort,
sondern ein christliches Gedicht gewählt. Und zwar
das, das der Pfarrer Jakob Julius Hermann Adalbert Magewirth,
der von 1875 bis 1883 in Cramberg wirkte, unter dem Titel
"Das Kirchlein im Walde" veröffentlichte.
Denn mit m.E. höchster Wahrscheinlichkeit dürfte
es sich auf diese, unsere Kirche beziehen. Es beginnt
mit den Worten:
Einsam,
wo der Wald sich lichtet, ragt ein Kirchlein alt und schlicht;
gleichwie, wenn durch düstre Schatten hell ein Strahl
von oben bricht,
jauchzt ob trautem Himmelsgruße dann die Seele froh
durchzückt,
leuchtet's Auge stumm gefesselt, wenn's auf diese Stätte
blickt.
Ich
denke, diese Verse sprechen auch heute noch nicht nur
den Menschen aus dem Herzen, die von Balduinstein aus
aufbrechen und dem blauen L-Schildchen folgen, um beim
Erwandern der "Küppeltour" auch an unserer
Feldkirche vorbeizugehen: Man kommt vom Talhof hochgewandert,
durchquert dabei den Wald, tritt schließlich ins
Freie und der Blick fällt sofort auf die mitten in
der Flur gelegene Kirche, die der Tourführer als
"eine der ältesten Kirchen Mittelnassaus"
angekündigt hat, deren Wehrturm als ältester
Teil bereits im 9. Jahrhundert entstand. Die Sonne bescheint
sie, je nach Tageszeit vom Osten, Süden oder Westen.
Sie ragt wie die Schaumburg mitten aus der Landschaft
heraus und scheint ebenso unerschütterlich zu sein,
nur eben kein stolzes, schwarzes Schloss, sondern ein
helles Glaubenszeugnis, das mit seinem spitzen Glockenturm
auf seinen Hausherrn im Himmel weist. Man wandert näher,
betritt unter Umständen das Gelände und verweilt
ein wenig auf der Bank, u.U. andächtig in sich gekehrt
und ein Gebet sprechend.
So weit so schön und dem Bedürfnis unserer Zeit
nach Wellness entsprechend. Aber unser Pfarrer Magewirth
dichtet vor rund 150 Jahren weiter:
Rings,
wo jetzt durch Waldes Stille dringt der Laut des Lebens
kaum,
dort, wo jetzt das Reh so schüchtern graset an der
Wiese Saum,
tobte einst des Krieges Furie, schallte wilder Waffenklang,
sah des Hasses Flamme lodern manches Herze, trüb
und bang.
Und der Geist versunk'ner Tage hier noch wehet auf und
ab,
er umflüstert, düster klagend hier ein einz'ges
großes Grab:
Diese strauchbedeckten Hügel schließen Schutt
und Moder ein,
duft'ge Blümlein munter sprießen über
morschem Totenbein.
Liebe
Gemeinde,
wie Sie unserem Kirchenführer entnehmen können
- den ich für diesen Gottesdienst noch einmal überarbeitet
habe und den Sie sich nachher gerne als Kopie mitnehmen
können - dürfte unsere Kirche zur Zeit Magewirths,
über 50 Jahre nach ihrem letzten Umbau, wieder mal
langsam ihre besseren Zeiten hinter sich gelassen haben.
Denn 1902 beschloss man, sie zugunsten einer neuen Kirche,
die dann 1909 in Wasenbach errichtet wurde, aufzugeben.
Und so war unser Gotteshaus zwar zu allen Zeiten ein zutiefst
religiöser Ort, aber nicht unbedingt das romantische
Kleinod, als welches es heutzutage Taufgesellschaften,
Hochzeitspaare oder auch unsere Hahnstätter Schwestern
und Brüder mit ihrem früheren alljährlichen
Wandergottesdienst angezogen hat und anzieht. Und selbstverständlich
haben vor 150 Jahren wesentlich mehr Gräber unsere
Kirche umschlossen, als sie es nun nach den schon vor
vielen Jahrzehnten erfolgten Erschließungen der
kommunalen Friedhöfe in Biebrich, Schönborn,
Steinsberg und Wasenbach tun. Aber das harte Nebeneinander
von Freud und Leid in unserem Gedicht dürfte zusätzlich
auch seinen geschichtlichen Grund im Untergang der unsere
Kirche bis zum 30-jährigen Krieg umgebenden und den
Namen gebenden Dörfer Habenscheid und Wenigen-Habenscheid
haben. Und vielleicht flossen auch die zeitgenössischen
Erlebnisse der sog. drei "deutschen Einigungskriege"
in der Zeit von 1864 bis 1871 in unsere Verse ein, die
ja auch den einen oder anderen Soldaten in unserer Gegend
das Leben kosteten und das Herzogtum Nassau zum preußischen
Staatsgebiet machten. -
Ja, heute kommt einem leider angesichts der Ukraine-Invasion
auch leicht das berühmte Antikriegslied Peter Seegers
in den Sinn: "Sag mir wo die Gräber sind,
"
(5. Strophe von "Sag mir, wo die Blumen sind".
Dementsprechend fährt unser Dichter fort:
Ach
von all dem reichen Leben wogend hier in Lust und Schmerz
bleibst nur du, o Kirchlein, zeigend noch, wie einstens,
himmelwärts.
Manch Jahrhundert rief zur Andacht deiner Glocken mächt'ger
Ton,
der durch Wald und Thäler hallend, heut noch mahnt
den Erdensohn.
Aber
als Christ bleibt Magewirth natürlich nicht allein
beim angebrachten, mahnenden Zeigefinger stehen, sondern
blickt vom karfreitäglich-düsteren Geschehen
aus aufs österliche Licht des uns versprochenen Himmelreiches:
Kirchlein,
gottgeweihte Stätte, fest, von manchem Sturm umweht,
bist ein Bild mir jenes Reiches, welches nimmermehr vergeht.
Wie auf einsam stillen Pfaden hoch zu dir die Gläub'gen
ziehn,
wird zu dem, was du verkündest, ewig auch die Menschheit
fliehn;
sehend wie in Nacht und Grauen alles Irdische versinkt,
und dem toddurchzucktem Herzen hier kein Hoffnungsstern
mehr winkt,
sucht im wechselvollen Leben sie nur den in dunklem Drang,
dessen Geist mit finstern Mächten alle Zeiten siegend
rang.
Wie Vernichtung, Tod und Schrecken du so wandellos geseh'n,
wie trotz manchem Sturm der Zeiten deine Hallen segnend
steh'n,
man dem Kreuz, das du verkündest, Dank und Preis
anbetend zollt,
bis die Erde hin in Trümmer einstens ihm zu Füßen
rollt.
Liebe
Gemeinde,
wir haben uns heute hier zu diesem ersten von vier Regionalgottesdiensten
versammelt, weil wir in Zeiten konstant sinkender Gemeindegliederzahlen
mehr zusammenrücken sollen, weil die Zahl unserer
Kirchenmitglieder und Gottesdienstbesucher sinkt. -
Ob dabei unser Christentum schlechter da steht als früher,
kann ich für mich nicht beantworten. Denn zur Entstehungszeit
unseres Kirchleins dürfte vieles, was hier gefeiert
wird, für die analphabetische Bevölkerung nur
lateinischer Hokuspokus gewesen sein. Zur Zeit Magewirths
hatte man gar nicht die Alternative bekenntnislos zu sein
und nur erste Keime unseres heutigen Sozialstaates begannen
zu grünen. Im Dritten Reich herrschte weitläufig
der Antichrist. -
Klar ist für mich jedenfalls, dass uns diese, unsere
von vielen geschätzte Kirche ermuntert, aber auch
mahnt, die Botschaft des Evangeliums in jeder Zeit hochzuhalten:
In den Tagen persönlicher Freude ebenso wie in Tagen
persönlichen Leids. In Zeiten der Gottesnähe
ebenso wie in Zeiten der Gottesferne oder auch in Zeiten
wie unserer, wo sich wohlstandsbedingte Gottvergessenheit
und tiefes Engagement für gottgefällige Werke
vielleicht die Waage halten. -
Deshalb wollen auch wir uns in unserem Engagement für
die Botschaft Jesu an Magewirths Gottvertrauen halten:"Wie
auf einsam stillen Pfaden hoch zu dir die Gläub'gen
ziehn, wird zu dem, was du verkündest, ewig auch
die Menschheit fliehn." Amen.
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