Invidia gloriae comes (Neid ist des Ruhmes Geleit)

Cornelius Nepos, röm. Geschichtsschreiber


Der Neid ist so alt wie die Menschheit. Schon in der Bibel begegnen uns zahlreiche Geschichten, die den Neid zum Thema haben. Der Neid (Invidia) zählt in der Katholischen Kirche zu den 7 Hauptlastern (schlechte Charakter-Eigenschaften), die zu Todsünden führen können.

Alfred Adler (1870 - 1937)
, einer der großen Tiefenpsychologen neben Sigmund Freud [> Traum-Analyse] und C.G. Jung [> Archetypen], stellte in seinem bedeutenden Buch "Menschenkenntnis" folgende These auf: "Wir müssen bekennen, dass wir alle nicht frei von Neid sind." Neid geht in der Regel mit einem Minderwertigkeitsgefühl einher. So kommt der Neurologe und Begründer der Individualpsychologie zu dem Schluss: "Mensch sein heißt ein Minderwertigkeitsgefühl haben."


Paul Rom
schreibt in seinem Buch "Alfred Adler und die wissenschaftliche Menschenkenntnis":


Jeder normale Mensch hat ein Gefühl für seinen eigenen Wert und für den Wert, den die Umgebung ihm beimisst. ... Wenn wir unsere Selbsteinschätzung von anderen mehr oder weniger anerkannt und bestätigt finden, dann gibt es kein Problem des Wertgefühls für uns und unser Verhalten wird unauffällig sein. ...
Es gibt aber zahllose Umstände, in denen unser Selbstwertgefühl angetastet wird. Ein Vergleichen zwischen dem, was ist und dem, was unserem Persönlichkeitsgefühl entsprechen würde, gibt uns dann ein Gefühl der Verkürztheit, der Machtlosigkeit, der Bedeutungslosigkeit oder der Unsicherheit; mit einem Wort ein Minderwertigkeitsgefühl. ... Unsere Minderwertigkeitsgefühle werden um so reicher und entwickelter sein, je intelligenter wir sind, d.h. je vielseitigere Vergleiche wir anzustellen vermögen. ...niemand kann auf die Dauer ein Minderwertigkeitsgefühl ertragen; und wenn es eine gewisse Stärke erreicht hat, verwandelt es sich in Handeln. Wir versuchen, das Minderwertigkeitsgefühl loszuwerden, es zu überwinden und zu einem Gefühl des Wertes zu gelangen. ... Das Minderwertigkeitsgefühl hat die Tendenz, sich in Kompensationsstreben zu verwandeln. ..."
Menschen, die nicht nur ein Minderwertigkeitsgefühl, sondern einen Minderwertigkeitskomplex haben, neigen dazu, andere offen oder versteckt herabzusetzen, was Alfred Adler als "Entwertungstendenz" bezeichnet hat.

Quelle: Paul Rom, Alfred Adler und die wissenschaftliche Menschenkenntnis, Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main, 1966, S. 70/71, 74


Was versteht man nun generell unter Neid?- Die Antwort ist ganz einfach: Was ich nicht habe oder kann, sollen andere auch nicht haben oder können.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das Phänomen des Neids selbst im Tierreich zu beobachten ist, wenn auch in primitiverer Form, d.h. auf Vitalbedürfnisse bezogen: der Futterneid.
Seit alters her wird dem Neid die gelbe Farbe zugewiesen - so wie rot der Liebe, grün der Hoffnung und blau der Demut.

So enttäuschend es ist, über das deutsche Wort "Neid" liegen die Wurzeln im Dunkeln und das gleichbedeutende Nomen "Missgunst" braucht nicht erläutert zu werden. Aufschlussreich hingegen ist der lateinische Begriff, der in mehreren europäischen Sprachen Eingang gefunden hat: invidia (subst). Das Verb "in-video" bedeutet nicht nur "beneiden" oder "missgönnen", sondern auch "durch den bösen Blick Unheil bringen". Das griechische Wort  zeigt eine Verwandtschaft zum englischen "jealousy". Ein weiterer Begriff, der sich mit dem des Neids deckt, ist die Eifersucht. Der aus der Luther-Zeit stammende Ausdruck meint heute die Angst vor jedem möglichen Nebenbuhler, vor allem im Bereich von Liebe und Ehe. Das Substantiv "Eifer" findet man zuerst in Luthers Bibelübersetzung für das lateinische "zelus", das dabei die Bedeutung "freundlicher Neid, lieblicher Zorn", auch "Zorn Gottes" hat. 

Biblische Beispiele
1)

Neid finden wir schon in archaischer Zeit. Man kann eigentlich sagen von Anbeginn der Schöpfung. Schon im 1. Buch Mosis kurz nach der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies mit dem Fluch der Sterblichkeit ("Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.") erfahren wir, dass Evas Sohn Kain seinen Bruder Abel beneidet, weil Gott Abels Opfer gnädig ansah und das des Kain nicht beachtete. Hasserfüllt bringt Kain seinen Bruder Abel um und Gott straft ihn mit mit unstetem Umherirren, lässt ihn aber nicht umkommen, sondern gewährt ihm Gnade, dass er nicht getötet würde (> Kainsmal). -

2)
Auch in der Josefsgeschichte (1. Mose, 37) hören wir von Neid. Jakob hatte Josef lieber als alle seine anderen Kinder und ließ ihm einen bunten Rock anfertigen. Diese Bevorzugung erweckte bei den Brüdern alles andere als Sympathie. Auch Josefs Träume von den sich verneigenden Garben und von Sonne, Mond und Sternen, die er den Brüdern erzählt, rufen bei diesen Neidgefühle bis hin zu starkem Hass hervor. Sie planen seine Ermordung, verkaufen ihn dann aber schließlich an die Ismaeliter. 

3)
Noch eine Neid-Geschichte ist im AT zu finden: die von König Saul (1. Samuel, 18).

Als Saul von der Schlacht gegen die Philister zurückkehrt, singen die Frauen: "Saul hat tausend geschlagen, David aber zehntausend." Saul fürchtet um seinen Thron und wird so neidisch auf David, dass er ihm schließlich nach dem Leben trachtet.

4)
Eine bekannte Erzählung im Neuen Testament konfrontiert uns ebenfalls mit Neid: die Passionsgeschichte. Hier sind es die Hohenpriester und Schriftgelehrten, die auf Jesus neidisch sind, weil ihm (zunächst) das ganze Volk nachlief und an ihn glaubte. In Matthäus 27, 18 hören wir von Pilatus: Er wusste wohl, dass sie ihn [Jesus] aus Neid überantwortet hatten.

5)
Schließlich nehmen die 10 Gebote des Dekalogs indirekt Bezug auf das Thema. Im 9. Gebot heißt es: "Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus."




Konkurrenzkampf

Neid und Konkurrenzkampf [z.B. zwischen Softwareherstellern, unter Autofirmen, Kaufhausketten, Fernsehsendern usw., vom privaten Sektor ganz abgesehen] gibt es auch in unserer Zeit noch, und zwar in stärkerem und subtilerem Ausmaß. Allerdings haben sich im Laufe der Geschichte die Inhalte und Methoden verändertEine bislang nicht geahnte Konkurrenz ist beispielsweise zwischen Apple und der Uhrenindustrie entstanden, nachdem Apple eine "schicke / intelligente Uhr", die "Smartwatch" in drei Preisgruppen (Aluminium, Edelstahl und Gold) anbietet.
Beim Neid muss man differenzieren zwischen geistigem und materiellen Neid. Beide Formen kommen vor, entweder einzeln oder kombiniert. Überdies stellt sich Neid bei Kindern anders dar als bei Erwachsenen. Kinder sagen offen, was sie auch gerne hätten oder könnten -eine bestimmte Marken-Kleidung oder die Super-Schulnoten, die ein anderes Kind hat. Der Neid bei Erwachsenen läuft mehr im Verborgenen ab. Ein Erwachsener wird nur in seltenen Fällen zugeben, dass er neidisch ist und daher andere als die wirklichen Beweggründe für die durch Neid bedingten Aktionen äußern. Der eine ist auf den Job oder auf das Vermögen und den Grundbesitz des anderen neidisch, der andere auf das geistige Potential seines Kollegen (technische, musikalische, künstlerische oder sportliche Überlegenheit). Ja, manchmal kann sogar der Vergleich der Anerkennung durch die Mitmenschen bzw. der Beliebtheit bei diesen zu latentem Neid führen. Die Liste der Begehrlichkeiten ist unerschöpflich vielseitig. [Manchmal kann der Neid auch kollektiv und national ausgerichtet sein wie z.B. bei Fußball-Weltmeisterschaften.]

Letztendlich fühlt sich der Mensch in irgendeiner Weise minderwertig und versucht irgendwann dieses Defizit auszugleichen. In unserer Gesellschaft geht es heute immer mehr um ein Überbieten, vor allem im technischen Bereich und hier wiederum ganz besonders im Bereich der Informationstechnologie, wobei zu betonen ist, dass sich unsere Gesellschaft mehr und mehr von der bloßen Informations- zur Kommunikationsgesellschaft entwickelt hat. Auf diesem Sektor ist die Veralterungs- bzw. die Innovationsrasanz unvorstellbar groß und der Konsument sollte überlegen, ob er für seinen persönlichen Gebrauch jede Neuerung mitmachen muss. Derzeit konkurrieren die Smartphone-Hersteller in Bezug auf die Möglichkeit per Handy zu bezahlen (Apple Pay / Samsung Pay / Android Pay als Bezahldienste), wobei jeder der Produzenten den größtmöglichen Absatz erzielen möchte. Nachdem man festgestellt hat, dass die ältere Generation prozentual gesehen noch nicht so wie erhofft mit Smartphones ausgestattet ist, will man nun altersgerechtere Geräte herstellen, um auch noch diese Marktlücke zu schließen. Neid und ständiger, unersättlicher Konsum werden zu fatalen Triebkräften der Gesellschaft. Durch das Suggerieren von ständig zunehmendem und scheinbar unverzichtbarem (must have) Komfort geraten die meisten Menschen geradezu in einen Kaufrausch, wobei sie sich nolens volens gegenseitig anstacheln. Sie werden -sich dessen unbewusst oder zumindest ohne es sich selbst einzugestehen- zu modernen Sklaven der IT-Branche, weil sie zu den Fortschrittlichen und nicht zu den ewig Gestrigen gehören und sich nicht minderwertig fühlen wollen. Nur wenige Zeitgenossen sind resistent gegen die permanente Innovationsrevolution. Wirtschaft und Werbemanagement gelingt es in dieser Branche, ständig neue, nur geringfügig  veränderte Produkte auf den Markt zu bringen und schon werden Neid- bzw. Minderwertigkeitsgefühle geweckt. Der Fairness halber muss man ergänzend feststellen, dass aber auch der Resistenteste irgendwann innovieren muss, weil ihm keine andere Wahl mehr bleibt. Das ist z.B. der Fall, wenn es für ältere Versionen einer Software keine Updates und keinen Support mehr gibt, wenn das analoge Fernsehen gänzlich eingestellt worden ist, wenn in Kürze nur noch die IP-Telefonie möglich ist oder wenn das Bargeld endgültig abgeschafft wird. LP, MC und CD sind inzwischen obsolet und mehr oder weniger auf ältere Liebhaber beschränkt, selbst iPod und iTunes, die noch als Dateien gespeichert wurden, treten bereits latent in den Hintergrund. Die derzeit absehbare Zukunft bei schnellem Internet gehört dem "Streaming", der "Strömung", womit der Datenfluss gemeint ist. Dabei hört man die Musik aus der "Soundcloud" mittels eines Abonnements direkt über das Web. Mit dieser Innovation bekommt der Rundfunk unweigerlich weitere Konkurrenz. Also: Was heute auf den Markt kommt, ist eigentlich schon Schnee von gestern, denn das Produkt für morgen steht schon längst bereit und man denkt prognostizierend darüber nach, was übermorgen gefragt sein könnte. Früher waren es mehr oder weniger nur die Jugendlichen, die von der Werbung um neue Produkte umgarnt wurden, in der Zwischenzeit setzt man aber auch auf die Oldies.

Zu ergänzen wäre noch, dass nicht nur Konsum-Artikel oder der Wohlstand anderer den Neid schüren können, sondern auch der menschliche Körper, einfacher gesagt: das Aussehen. Ein(e) Jugendliche(r) kann beispielsweise einen anderen wegen seiner/seines gut aussehenden Freundin/Freundes beneiden. Der alternde und alte Mensch tendiert zum Neid, wenn er den makellosen Körper junger Menschen sieht. Man denke dabei an den alten Schlager "Man müsste nochmal zwanzig sein". Neidgefühle können jedoch auch hinsichtlich des Gesundheitszustandes
entstehen, wenn beispielsweise ein 50-Jähriger schon massive gesundheitliche Probleme hat und in seinem Bekanntenkreis ein 80-Jähriger ist, der in jeder Hinsicht noch topfit ist.
Um einer völlig einseitigen Betrachtung des Themas entgegenzuwirken, sei betont, dass der Neid auch eine wichtige positive Seite hat: Für den technischen Fortschritt und die Ankurbelung der Wirtschaft ist er im Rahmen des Konkurrenzkampfes ein unverzichtbares Phänomen.

Im Betriebsmanagement jeder Firma geht es nicht ohne Ehrgeiz, ohne ehrgeizige Projekte. Das Wort "Ehrgeiz" ist aus den Wörtern "Ehre" und "Geiz" zusammengesetzt, Wörter, die jeder kennt. "Ehre" braucht nicht definiert zu werden, wohl aber das Substantiv "Geiz", denn in "Ehrgeiz" kommt das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung im Sinne von "Gier" vor, also: gierig nach Ehre. Diese Definition beschreibt genau das Phänomen des krankhaft gesteigerten Ehrgeizes, der sich vom gesunden wesentlich unterscheidet. Beide Formen sind in allen Lebensbereichen anzutreffen und beschränken sich nicht auf die Wirtschaft.

Worauf keiner neidisch war, war die so genannte Neid-Steuer (offiziell Vermögensteuer), die sogar das Gegenteil bewirkte, nämlich Schadenfreude. 

Die Deutschen gelten übrigens als besonders neidisch. Bei einem vorbeifahrenden tollen Auto sagt angeblich der Deutsche "Der läuft auch noch zu Fuß", während der Amerikaner sagt "Den fahre ich auch noch".

Was macht schließlich den Neid überhaupt möglich?- Es ist der Vergleich mit anderen. Das spitzte der Philosoph Schopenhauer zu, indem er sagte: "Der Vergleich ist die Wurzel allen Übels." Und da wir in der heutigen Gesellschaft mehr denn je Transparenz haben, besteht die Möglichkeit zu einer Vielzahl von Vergleichen und das nicht nur beim Preisvergleich und Schnäppchen-Kauf im Internet. Auch bei der PISA - Studie wird verglichen (Ländervergleich).

Abschließend noch ein altes deutsches Sprichwort

Erfährst du Neid, dann hast du Brot. Erfährst du keinen Neid, dann hast du Not.

und ein Zitat aus Molières Komödie "Tartuffe":

Les envieux mourront, mais non jamais l'envie.

Die Neider sterben wohl, doch niemals stirbt der Neid.