Predigt Nr. 8 zu 1. Petrus 5, 5

Gott widersteht den Hochmütigen,
aber den Demütigen gibt er Gnade.

Eine Betrachtung von Bernhard von Issendorff,
religionspädagogischer Studienleiter der EKHN, Wiesbaden
(abgedruckt in der EKZ vom 31.8.2003)

 

Der Parteigänger der Notleidenden

...Gott ergreift Partei. Er bleibt nicht neutral in den gesellschaftlichen sozialen Konflikten. Er überlässt die Welt nicht einfach den gesellschaftlichen Kräften. Gott widersteht und Gott gibt Gnade.
Der göttliche Widerstand gilt denen, die über sich hinaussinnen, vielleicht auch über gesetztes Maß, Recht und Gebot hinaus. Hochmütig - so sagt die Lutherbibel. Dieses Widerstandswort richtet eine Gesellschaft des Komparativs, wo nur das Schnellere, Größere, Höhere, Schönere, Erfolgreichere etwas gilt, wo der Werbespruch lauten könnte: "Gut ist uns nicht gut genug!"

Die Gesellschaft des Komparativs ist gnadenlos, denn in ihr gilt nur der Wettbewerb und in ihm gewinnt nur der Gewinner. Schon der Zweite ist ein Verlierer, alle anderen sind "loser" - Verlierer. Und der Gewinner wird von der Angst getrieben werden, dass er vom Thron gestürzt, ein anderer ihn überholen wird.

Gottes Gnade gilt den Niedrigen, den Schwachen, den Ohnmächtigen. Der Arzt kommt zu den Kranken, so wird es Jesus seinen Gegnern einst verdeutlichen. Die Übersetzung im Luthertext lässt den Gedanken aufkommen, als käme es auf die Gesinnung an. Doch Gottes Gnade gilt wirklich den Niedrigen und nicht den Großen, die gerade einmal den Kopf einziehen, den Gewinnern, die mit ihrem Reichtum protzen und strotzen, den Gewaltigen, die sich ihr Recht von einem unabhängigen Gericht gern bestätigen lassen. Es sind hier wirklich die Schwachen, Hilflosen und Ohnmächtigen gemeint. Gottes Gnade gilt denen, die Hunger leiden und nicht jenen, die sich vom Fasten eine spirituelle Bereicherung erhoffen, was es zweifellos bringt.
Weil Gott wirklich der Parteigänger der notleidenden Menschen ist, deshalb suchen wir Gott zu Recht bei den Unterlegenen. Und wer Gott nicht findet, der mag ihn zuvor in der falschen Gesellschaft gesucht haben.
Eine chassidische Geschichte erklärt, dass Gott deshalb heute so selten gefunden wird, weil sich so wenige finden, die sich so tief bücken wollen. Sehr wahr. Doch tröstlicher noch ist, dass Gott gerade die trifft und findet, die am Ende sind, ganz unten, ganz tief gestürzt.