Wie der Zahn der Zeit an Gebäuden nagt

Eine Dokumentation in Bildern



Metzgerei Karl Pfeifer in der Obertalstraße 13
nach einem Gemälde von Jos. Boos, 1931
© WJ
Beim Überfahren des Bildes mit der Maus sehen Sie Erläuterungen zur Raumnutzung.
Im Bild nicht sichtbar:
im Parterre die Küche hinter dem Laden mit Blick auf das untere Fachwerkhaus,
im 1. Obergeschoss hinter dem linken Schlafzimmer das Klavierzimmer mit Blick auf das untere Fachwerkhaus

Hier einige Fotos vom Abriss der beiden Häuser Obertalstraße 13 und 15
im September 2024
(Beginn 9.9.2024)

Strahlende Gesichter bei Feierabend am Ende eines langen Arbeitstages




Das aus dem Schutt gerettete stark verwitterte Hausnummernschild aus der Vorkriegszeit







Jetzt noch ein Blick in die Vergangenheit


Metzgermeister
Karl Pfeifer
1889 - 1966

Karl als Soldat der kaiserl. Armee

Karl mit dem Enkel Wolfgang (ca.1953),
der einen Fotoapparat umhängen hat
Hier klicken, um den animierten alten Fotoapparat zu sehen
Der kleine Wolfgang mit treuem,
aber gleichzeitig kritischem Blick
Karl Pfeifer vor der Tür zu seinem Geschäft

Die Straße besteht noch aus Kopfsteinpflaster,
an den Fenstern dekorative Geranien
So sah das abgerissene Haus ursprünglich aus
Auf der Straße ein Opel Rekord
Beim Überfahren des Hofbereichs Erläuterungen,
beim darauf Klicken sieht man das alte Gemälde zum Vergleich.
Von links: Karl, Tochter Paula, Ehefrau Lina

Erholung anno dazumal "nur" in der heimischen Region,
ein schroffer Gegensatz zum heutigen Global-Tourismus
Waren die Menschen deshalb unglücklicher ?
Von links: Lina, Karl, Paula

"Chillen" Im Gartenhäuschen


Ein Blick ins alte Wohnzimmer,

von dessen Fenstern man auf die dicht davor liegende Straße schauen konnte
Von links: Sessel, geblümte Stehlampe, Graetz-Fernsehgerät, Radio von Loewe Opta
Das Radio stand auf einem Phono-Schränkchen mit eingebautem Plattenspieler.



Die Vinyl-Schallplatten gab es als Single mit 45 Umdrehungen pro Minute
und
als Langspielplatte, abgekürzt LP, mit 33 Umdrehungen pro Minute.
Zu jener Zeit gab es nur ein Fernsehprogamm, das Deutsche Fernsehen der ARD.

So sah das damals um 1960 in Farbe aus

Das Schränkchen bot im linken Teil hinter der Schiebetür aus Glas eine Vitrine, in der oben kleine Porzellanfiguren, ein Mokkatässchen und ein Zinnbecher standen. Unten war ein Serviettenhalter und eine Wachsrose in filigranem Kerzenständer zu sehen.
Hinter der rechten Schiebetür aus Holz war oben der Plattenspieler eingebaut, oben rechts die Lampe zur automatischen Innenbeleuchtung beim Öffnen der Tür und unten war ein Plattenständer für 50 Singles montiert.
Das Radio mit den zur Verfügung stehenden Sendern
Magisches Auge
So hieß umgangssprachlich die Abstimmanzeige-Röhre,
die als Leuchtbalken (hier türkis) zu sehen war.
Sie zeigte die Stärke des Sendersignals an.


Aus dem Speicherfenster ragende Fahne
anlässlich des Bartholomäusmarkts


Minna Carthaser,
letzte Bewohnerin
der Obertalstraße



(bis 1993)

In der Obertalstraße 15 befand sich in früherer Zeit
der Bauernhof von Philipp und Lisette Carthaser.

Bauernhof Herold in der Obertalstraße 6
nach einem Gemälde von P. Zeil
Das 1666 errichtete Haus wurde bereits 1975 abgerissen.

Beim Überfahren des Bildes mit der Maus sehen Sie Erläuterungen zu den Gebäuden.

Idylle Herrngarten

Unser ehemaliges Gartenhäuschen im Herrngarten,
der noch Gartenland war und seinem Namen Ehre machte

Keine Häuser weit und breit. Zu sehen ist links oben nur die "Siedlung" und zwei weitere Gebäude sowie der Klingelbacher Kirchturm.* Keine versiegelten Flächen - Natur pur. Aus diesem Grund gab es -im Gegensatz zu heute- eine Vielzahl von Vögeln, Schmetterlingen und anderen Insekten. Das hat sich nach dem Bau der vielen Häuser drastisch reduziert. Die errichteten Gebäude sind ja noch nicht mal das große Problem. Dramatisch ist nur, dass die Leute heute schon in jungen Jahren alles altersgerecht bauen, obwohl keiner weiß, ob er überhaupt alt wird. Nichts dagegen, was das Hausinnere betrifft. Dramatisch ist nur, dass rund ums Haus alles zugepflastert oder mit Schotter versehen wird. Man geht lieber kostenpflichtig ins Fitness-Studio statt im Garten körperlich zu arbeiten und sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Die Vegetation und damit die Tierwelt reduziert sich zusehends.

HIer von mir aufgenommene Videos, die aber schon mehr als 10 - 15 Jahre zurückliegen. Inzwischen hat sich die Vogel-Population deutlich verringert.

*Der frühere Siedlungsweg und nach dem Bau weiterer Häuser Friedhofstraße genannte Straßenverbindung wurde später in die positiver klingende "Friedensstraße" umgetauft, weil manche Menschen nicht so gern an den Fiedhof denken mögen.

Der Name "Herrngarten" hat -wie man vordergründig annehmen könnte- primär nichts mit dem männlichen Geschlecht zu tun. Er bezieht sich vielmehr auf die Grafen (Herren) von Katzenelnbogen.


Oberhalb vom Gartenhäuschen
sieht man die Telegrafenmasten, die an der Straße nach Diez standen.


Das ist der Wiesenweg unterhalb der Gärten,
der zur Straße "Im Herrngarten" ausgebaut wurde.
Im Hintergrund links ist die Trauerhalle zu erkennen.
Das einzige bereits gebaute Haus gehörte Karl Wolf.

In der Wiese links von diesem Weg war ein von einem Rinnsal gespeister Born, aus dem die Gartenbesitzer Gießwasser für ihren Garten holten.


Der Gesellenbrief von Karl Pfeifer aus dem Jahr 1906,
unterschrieben von Ludwig und Wilhelm Huber


Der Meisterbrief aus dem Jahr 1921
mit Siegel der Handwerkskammer Wiesbaden


Diese Fotografie wurde von Oskar Bernhardt gemacht.
Er wohnte in der Katzenelnbogener Neugasse, heute Parkstraße. Nach der tiefenpsychologischen Theorie Alfred Adlers kompensierte er seine Taubheit durch das Fotografieren und die Tierhaltung. Weil er nichts hörte, hatte er über seiner Küchentür ein rotes Lämpchen angebracht, das aufleuchtete, wenn draußen jemand klingelte.
Er war übrigens der Erste, der im Flecken ein Fernsehgerät besaß. Gegen eine geringe Gebühr quasi als Eintrittsgeld konnte man bei ihm schon um 1955 fernsehen. Liebe Nachbarn wie beispielsweise Inge durften sogar gratis bei ihm an den Sendungen feilnehmen.
Oskar war ein echtes Flecker Original. Jeder kannte ihn. Er besaß ein Äffchen namens Mona, das angekettet auf seiner Schulter saß, wenn er damit durch Katzenelnbogen ging. Er war ein großer Tierliebhaber. So kam es, dass er neben einer Perser- und einer Siamkatze noch etliche weitere Tiere in seinem Haus hielt wie z.B. den Papagei Lora und später Jacko, einen Pudel, ein Aquarium mit Fischen, ein Eichhörnchen und einen Wetterfrosch. Goldfasan und Pfautaube kamen hinzu. Auch als Schafhalter und Bienenzüchter betätigte er sich. Das Äffchen hatte allerdings eines Tages das Pech, dass es von den Bienen so gestochen wurde, dass es daran starb. Die Hilferufe des Tieres hatte er nicht gehört und dadurch nicht rechtzeitig eingegriffen.

Die Siamkatze auf der Gartenbank
Alles in allem kann man sagen: Das etwas skurril anmutende Interieur des hinter dem Hauseingang liegenden Hauptzimmers glich einem kleinen Zoo. Zugleich erinnert diese Personenbeschreibung an das 1920 erstmals erschienene Kinderbuch "The Story of Doctor Dolittle" (Doktor Dolittle und seine Tiere) des englischen Autors Hugh Lofting, das mehrfach verfilmt wurde.


Oskar, der sein Äffchen an der Hand führt und mit ihm spielt
Nachbarskind Inge Spies von Oskar fotografiert
Tafelaufschrift: Mein erster Schulgang 1943

Auf der Rückseite des Fotos von Inge zu lesen

Ehefrau Hanni vor dem Springbrunnen im Garten


Konfirmation in der Klingelbacher Kirche im Jahr 1926

Am rechten Bildrand der langjährige, hier noch junge Pfarrer Walter Künkel mit Talar und Barett


Die Glocken läute(te)n früher wie heute zur Konfirmation.

Auf beiden Gruppenfotos ist Paula Jakupka, geb. Pfeifer zu sehen.

Epilog

IN MEMORIAM DOMUS VALLIS SUPERIOR
NUMERI XIII ET XV


Johann Wolfgang von Goethe
Wer nicht von dreitausend Jahren
sich weiß Rechenschaft zu geben,
bleib im Dunkeln unerfahren,
mag von Tag zu Tage leben.

 
Als jemand, der von Geburt an weit über 30 Jahre in der Obertalstraße 13 gelebt hat, fühle ich mich geradezu verpflichtet, einen "Nachruf" auf das alte Gebäude zu verfassen, das vermutlich Ende des 17. Jahrhunderts um 1695 errichtet wurde; denn auf der Fassade des direkt darunter gelegenen Fachwerkhauses ist das Erbauungsjahr mit 1685 (Geburtsjahr von J.S. Bach und G.F. Händel) angegeben und bei dem darüber gelegenen noch stehenden Fachwerkhaus mit 1707. Es handelte sich also um ein historisches Bauwerk mitten im Stadtkern von Katzenelnbogen, das nun dem Erdboden gleichgemacht wurde. Auch das Haus Nr. 15 (Bauernhof der Familie Philipp Carthaser) entstammte dieser Zeit.
Lange Zeit stand es zu Recht unter Denkmalschutz. Ich selbst habe 1984 dieses Haus zum letzten Mal betreten und weiß daher nicht, wie sich 40 Jahre später der bauliche Zustand im Innern dargestellt hat. Von außen betrachtet sah es ziemlich heruntergekommen aus. Es ist äußerst bedauerlich, dass nicht rechtzeitig Sanierungsarbeiten in Gang gesetzt wurden. Dann wäre vielleicht noch eine Rettung möglich gewesen. Man hat dem Verfall tatenlos zugesehen.-
Auch das Goethe-Zitat aus seinem West-östlichen Divan motivierte mich dazu, dem Gebäude wenigstens ein virtuelles Denkmal in Form einer Internet-Präsenz zu setzen. Es ist jammerschade, dass in Katzenelnbogen nach und nach etliche einst das Stadtbild in stilvoller Form prägende Gebäude verschwunden sind. Hierbei denke ich vor allem an den Bahnhof der Nassauischen Kleinbahn (heute Raiffeisen-Markt), das ehemalige Hotel Bremser im Zentrum der Stadt und das Elisabethstift in der Stiftstraße unterhalb des Horstbergs. In Zollhaus, Miehlen, Nastätten und St. Goarshausen stehen die Bahnhöfe noch.
Es wäre für Katzenelnbogen ein touristischer Zugewinn gewesen, wenn man im Obertal alle Fachwerkhäuser hätte stehen lassen (können). So wäre zusammen mit den historischen Häusern des Römerbergs und der Untertalstraße ein echtes Altstadt-Flair entstanden. Das Video "Katzenelnbogener Schmuckstücke" verdeutlicht die Ausstrahlungskraft der alten Häuser.
Am Ende des Nekrologs bleibt zu hoffen, dass die entstandene Baulücke in ästhetischer Hinsicht der Altstadt adäquat neu bebaut bzw. gestaltet wird. Ein modernes Gebäude wäre die Katastrophe schlechthin.


Copyright © Wolfgang Jakupka


Fremdenzimmer Schlafzimmer Ca. 1,20 m breites Zwischenzimmer Schlafzimmer Vorratsraum Trockenspeicher, Fenster mit Möglichkeit zum Hissen einer Fahne, dokumentierendes Foto dazu weiter unten auf der Seite Bad und WC Fenster an der Speichertreppe Zweites Fenster des Vorratsraums Speicherfenster Metzgerladen Haustür Wohnzimmer Wohnzimmer Ursprünglich ein Hühnerstall, später Umbau zur Räucherkammer Eingang zum Schlachthaus Leiter zum Hühnerstall, später eine Holztreppe zur Räucherkammer Im oberen Bereich auf einem mit losen Holzbrettern verlegten Boden die Aufbewahrung  des für den Winter gehackten Holzes, darunter in einer Bodenvertiefung (im Einricher Platt "Kuhlekaut" genannt) gelagerte  Kohle Hier hinter dem Hoftor hingen von einem kleinen Schrägdach vor Regen geschützt die Schweinehälften. In heutiger Zeit der Hyper-Hygiene würde das von der Lebensmittelaufsicht mit Sicherheit nicht mehr genehmigt. Wohnhaus Scheune (1920) Haus Heuser (Um Verwechslungen zu vermeiden, "Schulheusersch" genannt, weil es in Katzenelnbogen noch andere Familien mit dem Nachnamen Heuser gab. Dieses Haus stand gegenüber der alten Schule. Haus Rübsamen mit Zahnarztpraxis Weil im Parterre Haus Geis (an den Römerberg grenzend) Stall