SUPREMUM IUDICIUM
Das Weltgericht



Hans Memling (1433 - 1494): Triptychon (Dreiflügelaltar) des Weltgerichts, Ausschnitt

Auf dem Gemälde nach der Offenbarung des Johannes sitzt Jesus als der Weltenrichter auf einem Regenbogen im Kreis seiner Jünger, unter seinen Füßen die Erdkugel. Links von seinem Mund ist das Schwert als Zeichen für die Verdammnis, rechts davon die Lilie als Symbol für die Erlösten zu sehen. Auf seiner linken Seite kniet Johannes der Täufer, auf seiner rechten Maria, seine Mutter.
Außer den Malern haben sich auch Musiker dieses Themas angenommen, z.B. Dietrich Buxtehude in einer seiner Abendmusiken ("Das allerschröcklichste und allererfreulichste, nemlich Ende der Zeit und Anfang der Ewigkeit", BuxWV 129), Marc Antoine Charpentier in seinem "Extremum Dei iudicium" oder Jean Baptiste Lully in seinem "Dies irae" (Tag des Zorns), jenem mittelalterlichen Hymnus, der als Sequenz Bestandteil jedes Requiems ist. Auch im Tedeum kommt das Gericht bzw. der Richter zur Sprache: iudex crederis esse venturus.
Nicht nur in der Offenbarungsgeschichte erfahren wir vom Jüngsten Gericht, dem Weltgericht. Auch im Matthäusevangelium hören wir vom Letzten Gericht, bei dem Christus als Richter die Gerechten von den Ungerechten trennt. Der Glaube an ein Gottesgericht existiert nicht nur im Juden- und Christentum. Er ist auch wesentlicher Glaubensgrundsatz im Islam.
Die Wörter "gerecht, Gerechter und Gerechtigkeit" kommen in der Luther-Bibel (von 1984) 221-mal vor, das Wort "Gericht" 38-mal, "richten" im Sinn von Recht schaffen 36-mal und "Richter" 21-mal sowie "Richterin" 1-mal im Buch der Richter (Debora, Ri 4,4).
Den meisten Menschen unserer Zeit ist der Glaube an Gott als obersten Richter abhanden gekommen. Irdische Gerichte und Richter sind ihnen hingegen weitaus geläufiger, weil ihre Existenz real sichtbar und erfahrbar ist. In allen Staaten der Welt mit Gewaltenteilung gibt es neben der Legislative und Exekutive die Recht sprechende Judikative. Der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, lässt übrigens eine Sprachverwandtschaft mit "supremum iudicium" erkennen.
Theoretisch gesehen ist von Natur aus vermutlich wohl jeder Erdenbürger für Gerechtigkeit (iustitia), vor allem dann, wenn es um die eigene Person geht. Wenn aber nun auf unserer irdischen Welt -zumindest in der Wunschvorstellung- alles gerecht zugehen soll, sollte da nicht erst recht in der transzendenten Welt Gottes die Gerechtigkeit eines der zentralen Anliegen sein?

Psalm 7, 9: Der Herr ist Richter über die Völker.
Psalm 9, 9: Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit.


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Predigt Nr. 10

von Pfarrerin Janine Knoop-Bauer, Darmstadt
(abgedruckt in der Ev. Sonntagszeitung vom 15.11.2015)



Nicht nur lieb, sondern gerecht
Warum ich auf Gott als den Richter nicht verzichten will

Gott ist lieb. So ist er mir vorgestellt worden, als ich ein Kind war. Der liebe Gott. Ich bin froh darüber. Gott war keiner, vor dem ich mich fürchten musste. Gott wurde nicht herbeizitiert als Drohung, wenn meine Eltern sich keinen Rat mehr wussten. Er war ganz im Gegenteil immer auf meiner Seite. Andere Menschen haben das nicht so erlebt. Sie mussten sich befreien von den Ängsten, die die Rede von einem tyrannischen und unnachgiebigen Gott in ihr Leben gebracht hat. Der Psychoanalytiker Tilmann Moser hat das "Gottesvergiftung" genannt. Er erzählt in seinem gleichnamigen Buch, wie der Glaube an einen Gott, der straft und Angst verbreitet, krank macht. "Freut euch, wenn euer Gott freundlicher war", schreibt Moser.
Der Gott meiner KIndheit war immer der liebe Gott. Ich kann mich also freuen. Trotzdem verlor er mehr und mehr an Bedeutung, als ich älter wurde. Er war so lieb, dass er kaum noch zu unterscheiden war von den niedlichen Einhörnern und Feen, die sonst noch die Kinderwelt bevölkerten, aber im echten Leben nicht vorkamen. Und so spielte auch Gott bald keine große Rolle mehr.
Der Theologe Jürgen Ebach hat das Problem mit dem lieben Gott treffend umschrieben. Er erzählt, wie Leute regelmäßig im Park einem mordlustig aussehenden Hund begegnen. Der Besitzer reagiert auf die Angst der Passanten immer mit der gleichen Floskel: "Der ist lieb - der tut nix!" Wer lieb ist, tut nichts. Jedenfalls nichts Böses. So ist es mit dem lieben Gott auch. Der ist lieb, weil er nichts tut. Vor ihm braucht man keine Angst zu haben. Aber Hilfe kann man von so einem auch nicht erwarten.
Die Bibel spricht anders von Gott. Der immer nur liebe Gott findet sich hier nicht. Jedenfalls nicht in Reinform. Gott hat viele Attribute. Ein ganz zentrales ist das des Richters. Die Menschen, von denen die Bibel erzählt, erwarten von Gott, dass er aktiv in die Welt eingreift. Gott soll richten zwischen Parteien, die sich streiten, in der Familie ebenso wie zwischen Völkern. Gott, der Richter, soll zurechtrücken, was Unrecht ist.
Der Preis, den die Menschen dafür zahlen, dass Gott in ihr Leben eingreift, ist die Ambivalenz seines Tuns. Gott ist nicht ausschließlich lieb. Er tut nicht nur nette Dinge. Die Bibel ist voller Geschichten, in denen die dunkle und für uns oft unverständliche Seite von Gottes Taten deutlich wird.
Gott ist nicht lieb. Aber Gott ist gerecht. Davon sind die Menschen in der Bibel überzeugt, die ihn zum Richter bestellen. Gottes Gerechtigkeit ist die letzte Hoffnung derer, die wehrlos unter Ungerechtigkeit leiden. Sein Richtspruch soll sie befreien. Das ist ihre Sehnsucht.
Diese Sehnsucht teile ich. Ich sehne mich nach Gerechtigkeit. In meinem privaten Leben. Vor allem aber auch in Blick auf die Geschicke der Welt. Für Gerechtigkeit nehme ich in Kauf, dass der liebe Gott den Mantel seiner Harmlosigkeit ablegt und sich aufrichtet zu voller Größe als Richter von Himmel und Erde.




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