Am Heilignachmittag
1687 war der Postillion von Luckenwalde* mit der Postkutsche nach
Jüterbog gefahren. Er hatte nur einen kleinen Passagier bei
sich, ein siebenjähriges Mädchen, das zu den Großeltern
nach Jüterbog wollte.
Als die beiden Schimmel in den Abendstunden durch die schneeverwehte
Jüterboger Heide dahinstürmten, tauchten plötzlich
überall zwischen den Tannenbäumen die grünen Wolfslichter
auf. Der Postillion gab den Pferden vom Bock herunter die Peitsche.
Er hatte noch eine Stunde Fahrt, bis er aus der Heide heraus war.
Aber da waren
sie schon von allen Seiten heran, die Wölfe. Eine Zeitlang
hetzten sie wild neben den dahinrasenden Pferden her. Dann sprang
der Leitwolf an und riss dem rechten Schimmel die Halsschlagader
durch. Das Blut spritzte über den Schnee. Nach dreihundert
Metern blieb das treue Tier zitternd stehen. Das Nebenpferd schnob
und zog immer wieder an. Aber da brach der treue Stallgefährte
zusammen. Und dann fielen die Wölfe über beide Pferde
her. Wie der Blitz war der Postillion vom Kutschbock herunter,
riss die Tür der Kutsche auf und schlug sie sofort hinter
sich zu. Da sprang der erste Wolf auch schon draußen an
der Tür empor. Mit Stricken band der Mann die Tür von
innen fest zu. Das zitternde Kind hüllte er in alle vorhandenen
Decken. Er selbst trat bald an das rechte, bald an das linke Fenster.
Sehen konnte er von den Wölfen nichts. Nur hören konnte
er, wie sie die beiden toten Tiere zerrissen und fraßen
und wie die Knochen zwischen ihren furchtbaren Gebissen brachen.
Dann waren die grün schillernden Augen wieder vor den Fenstern.
Der Postillion zählte mehr als vierzig Wölfe. Sie jaulten
und scharrten unter der Kutsche. Sie sprangen zum Bock hinauf
und trapsten über das Dach.
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Ehemal.
Klosterkirche der Zisterzienser in Zinna
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Alte
und Neue Abtei
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Aus der Ferne
im Kloster Zinna und in Jüterbog klangen die Weihnachtsglocken
herüber, die die Heilige Nacht einläuteten. Der Schnee
fiel langsam und unentwegt. Da nahm der alte Postillion das weinende
Kind in seinen Mantel und setzte sich mit ihm in eine dunkle Ecke
des Wagens. Er bekam kein Auge zu in der langen Nacht. Immer wieder
sprangen draußen die Schatten an den Fenstern hoch. Vielleicht
sahen sie ihn auch im aufkommenden Mondlicht sitzen. Er hörte
auch ihr Jichern und ihr gieriges Fauchen, aber das Kind hörte
nichts, es schlief fest und warm unter seinem Mantel.
Als der Morgen heraufkam, lag eine eisige Kälte im Raum.
Erst spät wurde es Tag. Wann würde Hilfe kommen? Ehe
man in Jüterbog oder Luckenwalde wusste, was geschehen war,
konnten Tage vergehen; denn jede Poststation nahm bei den verwehten
Wegen vielleicht an, dass die Post nicht fuhr. Wenn nicht zufällig
jemand vorbeikam, dann - - - da kam das Geläut von vielen
Schlittenglocken aus der Ferne heran. Die Zinnaer fuhren zur Kirche
-und dann- wurde die Tür aufgerissen. Der Postillion reichte
den staunenden Männern aus Zinna das Kind heraus. Er selber
war so steif gefroren, dass man ihn fast herausheben musste. Eine
Stunde später waren beide in Jüterbog in Sicherheit.
* Jüterbog
und Luckenwalde sind Städte, die in Brandenburg ca. 60
km südlich von Berlin liegen. |
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© Wolfgang Jakupka
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