Weihnachten unter Wölfen

Eine Erzählung von Werner Hacker


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Sie hören Wolfsgeheul
und anschließend Schlittenglöckchen.

Luckenwalde - Marktturm
Foto:Jörgen Kosche

Am Heilignachmittag 1687 war der Postillion von Luckenwalde* mit der Postkutsche nach Jüterbog gefahren. Er hatte nur einen kleinen Passagier bei sich, ein siebenjähriges Mädchen, das zu den Großeltern nach Jüterbog wollte.

Grafik:Gordon Johnson

Als die beiden Schimmel in den Abendstunden durch die schneeverwehte Jüterboger Heide dahinstürmten, tauchten plötzlich überall zwischen den Tannenbäumen die grünen Wolfslichter auf. Der Postillion gab den Pferden vom Bock herunter die Peitsche. Er hatte noch eine Stunde Fahrt, bis er aus der Heide heraus war.


Aber da waren sie schon von allen Seiten heran, die Wölfe. Eine Zeitlang hetzten sie wild neben den dahinrasenden Pferden her. Dann sprang der Leitwolf an und riss dem rechten Schimmel die Halsschlagader durch. Das Blut spritzte über den Schnee. Nach dreihundert Metern blieb das treue Tier zitternd stehen. Das Nebenpferd schnob und zog immer wieder an. Aber da brach der treue Stallgefährte zusammen. Und dann fielen die Wölfe über beide Pferde her. Wie der Blitz war der Postillion vom Kutschbock herunter, riss die Tür der Kutsche auf und schlug sie sofort hinter sich zu. Da sprang der erste Wolf auch schon draußen an der Tür empor. Mit Stricken band der Mann die Tür von innen fest zu. Das zitternde Kind hüllte er in alle vorhandenen Decken. Er selbst trat bald an das rechte, bald an das linke Fenster. Sehen konnte er von den Wölfen nichts. Nur hören konnte er, wie sie die beiden toten Tiere zerrissen und fraßen und wie die Knochen zwischen ihren furchtbaren Gebissen brachen.
Dann waren die grün schillernden Augen wieder vor den Fenstern. Der Postillion zählte mehr als vierzig Wölfe. Sie jaulten und scharrten unter der Kutsche. Sie sprangen zum Bock hinauf und trapsten über das Dach.

Ehemal. Klosterkirche der Zisterzienser in Zinna
Alte und Neue Abtei

Nikolaikirche Jüterbog

Aus der Ferne im Kloster Zinna und in Jüterbog klangen die Weihnachtsglocken herüber, die die Heilige Nacht einläuteten. Der Schnee fiel langsam und unentwegt. Da nahm der alte Postillion das weinende Kind in seinen Mantel und setzte sich mit ihm in eine dunkle Ecke des Wagens. Er bekam kein Auge zu in der langen Nacht. Immer wieder sprangen draußen die Schatten an den Fenstern hoch. Vielleicht sahen sie ihn auch im aufkommenden Mondlicht sitzen. Er hörte auch ihr Jichern und ihr gieriges Fauchen, aber das Kind hörte nichts, es schlief fest und warm unter seinem Mantel.
Als der Morgen heraufkam, lag eine eisige Kälte im Raum. Erst spät wurde es Tag. Wann würde Hilfe kommen? Ehe man in Jüterbog oder Luckenwalde wusste, was geschehen war, konnten Tage vergehen; denn jede Poststation nahm bei den verwehten Wegen vielleicht an, dass die Post nicht fuhr. Wenn nicht zufällig jemand vorbeikam, dann - - - da kam das Geläut von vielen Schlittenglocken aus der Ferne heran. Die Zinnaer fuhren zur Kirche -und dann- wurde die Tür aufgerissen. Der Postillion reichte den staunenden Männern aus Zinna das Kind heraus. Er selber war so steif gefroren, dass man ihn fast herausheben musste. Eine Stunde später waren beide in Jüterbog in Sicherheit.

Das Rathaus von Jüterbog

* Jüterbog und Luckenwalde sind Städte, die in Brandenburg ca. 60 km südlich von Berlin liegen.


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