Anfänge der Ökumene:

Der Wetzlarer Dom

von Pfarrer Michael Stollwerk
 
 

Foto: Klaus Biber

Der Wetzlarer Dom ist eine jener wenigen Kirchen in Deutschland, die schon seit Jahrhunderten von Christen beider Konfessionen für den Gottesdienst genutzt werden.* Diese ökumenische Verbundenheit geht zurück auf die Weitsicht der katholischen Stiftsherren vor mehr als 450 Jahren. Bis zur Reformation befand sich die traditionsreiche Kirche nämlich im Besitz eines geistlichen Ordens. Gleichzeitig diente sie auch der Wetzlarer Bevölkerung als Ort der Besinnung und des Gebets. Brisant wurden die Verhältnisse in dem Moment, als die Bürgerschaft Mitte des 16. Jahrhunderts geschlossen zum Luthertum überging, während die Stiftsangehörigen katholisch und dem Erzbischof von Trier unterstellt blieben. Die Gefahr einer Zwangsauflösung des Stiftes und der Vertreibung der wenigen Katholiken lag in der Luft. In dieser angespannten Situation unterbreitete der Vorsteher des Stiftes ein ebenso entkrampfendes wie diplomatisches Angebot: Die Bürgerschaft sollte ihren Prediger selbst wählen und ihn dann den Stiftsherren zur Amtseinsetzung vorstellen. Auf diese Weise kam es in Wetzlar fortan regelmäßig zu dem sogar für heutige Verhältnisse kaum vorstellbaren Bild der Amtseinsegnung eines evangelischen Pfarrers durch den katholischen Geistlichen. Eine konfessionsgeschichtliche Kuriosität ersten Ranges! - Die Frage der Kirchennutzung wurde so geregelt, dass die katholische Minderheit sich in den Chorraum der Kirche zurückzog, während der lutherischen Bürgerschaft das Hauptschiff zugesprochen wurde. Es mag eher "Bauernschläue" als Liebe zur Reformation gewesen sein, die die Stiftsherren damals zu ihrem Vorgehen motiviert hat. Gott hat aber auch diese "Bauernschläue" für seine Ziele nutzen können. Aus dem anfänglichen Nebeneinander der beiden Gemeinden ist inzwischen längst ein segensreiches Zusammenwirken im Dienst für Christus geworden.
* Vgl. hierzu die von Franz Georg von Schönborn in Dirmstein/Pfalz gebaute Simultankirche St. Laurentius!
Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, so macht meine Freude dadurch vollkommen,
dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid.

Philipper 2,2
Quelle: Michael Stollwerk, "Gesponserte Stille" © 2004 Brunnen Verlag, Gießen

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P.S.: Dass an der Basis bzw. vor Ort das Miteinander der beiden Konfessionen oft besser ist als man gemeinhin annimmt, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Gelebte Ökumene -wie z.B. auch in Taizé- lässt sich nicht verordnen; denn sie ist vornehmlich ein Akt zwischenmenschlicher Beziehungen und Sympathien.
Dass ich als Protestant seit vielen Jahren in einer ev. Kirche Orgel spiele, verdanke ich der Tatsache, dass mich vor mehr als 50 Jahren die Haushälterin des damaligen aus Hadamar stammenden Katzenelnbogener katholischen Pfarrers Johannes Hannappel auf meinen Wunsch hin ohne zu zögern oft mit in die kath. Kirche nahm und dort spielen ließ. Pfarrer Hannappel (von 1941 bis 1972 in Katzenelnbogen) selbst, der die Messe übrigens noch streng nach altem Ritus mit dem Rücken zum Kirchenvolk und zum Altar hin zelebrierte, sah auch keinen Hinderungsgrund. Trotz tiefer Religiosität war er für die damalige Zeit sehr weltoffen und dazu ein Mann, der sich in der Freizeit gern in seinem Pfarrgarten betätigte. So fand ich Interesse am Orgelspiel und wenn ich heute hin und wieder einmal in der kath. Kirche von Katzenelnbogen spiele, erinnere ich mich dabei gern an meine Kindheitserfahrungen.
wj