|
Ich
will den Kreuzstab (X-Stab) gerne tragen
( I will the cross-staff gladly carry )
Bach
- Kantate zum 19. Sonntag nach Trinitatis (BWV 56)
vom 27. Oktober 1726
|
Zur Musik
Die Kreuzstab-Kantate,
eine Solo-Kantate für Bass, handelt von der Hoffnung auf
Erlösung von allem irdischen Leid durch den Tod, verbunden
mit der Hoffnung auf das ewige Leben in der Herrlichkeit Gottes.
Die Kantate weist einen Bezug zu Matthäus
9,18 (Die Heilung des Gichtbrüchigen) auf.
In der anfangs erklingenden Arie
stellt Bach die "Plagen" symbolisch durch Seufzer-Figuren in
Form zweier aneinandergebundener Achtel dar. Beim
Rezitativ des Bass - Solisten werden im Hinblick auf den Text
«Mein Wandel auf der Welt ist einer Schifffahrt gleich»
die Wellenbewegungen durch gleichförmige Noten des Cellos
imitiert.
Den Text der Kantate verfasste
der Bachschüler und Theologe Christoph Birkmann (1703 -1771),
während die Worte des Schlusschorals "Komm, o Tod, du Schlafes
Bruder" einer Strophe des 1653 von dem Gubener Rechtsanwalt,
Ratsherrn und Bürgermeister Johann Franck
(1618 - 1677) geschriebenen
Kirchenlieds "Du, o schönes Weltgebäude"
entsprechen, dessen erste Strophe so lautet:
Du,
o schönes Weltgebäude,
magst gefallen, wem du willst;
ist doch deine eitle Freude
stets mit lauter Angst umhüllt.
Denen, die den Himmel hassen,
will ich ihre Weltlust lassen;
mich verlangt nach dir allein,
lieber Herr und Heiland mein!
|
Mein Wandel
auf der Welt ist einer Schifffahrt gleich
|
|
Das
offene Meer bei Sturm
Betrübnis, Kreuz und Not sind Wellen, welche mich
bedecken und auf den Tod mich täglich schrecken.
|
Der
Port der Ruhe
Und wenn
das wütenvolle Schäumen sein Ende hat,
so tret ich aus dem Schiff in meine Stadt.
|
Zum Text
Gleich zu Beginn der Kantate
hören wir den für uns befremdend klingenden Satz "Ich
will den Kreuzstab gerne tragen,
er kommt von Gottes lieber Hand."
Wer will schon in unserer Zeit, in
der Erfolg, materielles und gesundheitliches Wohlergehen und Entertainment
von Bedeutung sind, "gern" ein Kreuz tragen? Leidhafte Erfahrungen
werden meist totgeschwiegen. Aber jede Familie, jeder einzelne
Mensch hat etwas zu tragen, das ihn manchmal bis zur Unerträglichkeit
belastet, ganz gleich, ob es sich um eine berufliche, finanzielle,
gesundheitliche (organisch wie psychisch) oder bei Kindern um
eine schulische Last handelt. Und dann äußert der Textdichter
noch etwas Ungeheuerliches: Der Kreuzstab kommt aus Gottes "lieber"
Hand.
Im weiteren Verlauf des Kantatentextes
vergleicht der Dichter das irdische Leben mit einer Schifffahrt,
bei der die See nicht immer ruhig, sondern manchmal lebensbedrohlich
und furchterregend ist («Wellen, welche mich bedecken und
auf den Tod mich täglich schrecken»). Nun kommt aber
das Entscheidende: Gottes
Barmherzigkeit ist der Anker, der ihn hält.
Außerdem
vertraut er Gottes Zusage: Ich bin bei dir, ich will dich nicht
verlassen.
|
Mein
Anker aber, der mich hält,
ist die Barmherzigkeit,
womit mein Gott mich oft erfreut.
|
Das
Ende der zweiten Arie und das anschließende Arioso bringt
Todessehnsucht zum Ausdruck: «O gescheh es heute noch! ...
Wie wohl wird mir gescheh'n, wenn ich den Port der Ruhe werde
seh'n.» Eine Parallele zu dieser Aussage finden wir in Philipper
1, 23, wo Paulus sagt: "Ich habe Lust abzuscheiden
und bei Christus zu sein."
Der bekannteste
und einprägsamste Teil dieser Kanatate ist ohne Zweifel der
Schluss - Choral "Komm, o Tod, du Schlafes Bruder", zumal dieser
Text den Stoff für Robert Schneiders verfilmten Roman "Schlafes
Bruder" (1992) lieferte, in dem die Hauptperson, Johannes Elias
Alder, dieses Lied auf der Orgel improvisiert.
Im Schluss - Choral wird der Tod
als Bruder des Schlafs angesehen, wohl deshalb, weil wir im Tod
wie beim Schlaf alles, was uns real umgibt, loslassen müssen.
Nicht von ungefähr ist auch das Verb "entschlafen" für
das Sterben entstanden. Tote sehen oft so aus, als ob sie schliefen.
Text
der Bach - Kantate
|
Text
des Johann Franck
|
Komm,
o Tod, du Schlafes Bruder,
komm und führe mich
nur fort;
löse meines Schiffleins
Ruder,
bringe mich an sichern Port*
!
Es mag, wer da will, dich
scheuen,
du kannst mich vielmehr
erfreuen;
denn durch dich komm ich
herein
zu dem schönsten Jesulein.
|
Komm,
o Tod, des Schlafes Bruder,
komm und führe mich nur fort!
löse meines Schiffleins Ruder,
bringe mich zum sichern Ort!
Mag, wer immer will, dich scheuen,
mich vielmehr kannst du erfreuen,
denn durch dich komm ich hinein
zu dem lieben Heiland mein.
|
*
Port ( = veraltet für Hafen, Zufluchtsort ) entstammt dem
lateinischen Wort "porta" für Tor/Eingang/Zugang;
auch unsere Wörter "Portal" (>Internetportal)
und "Pforte" sind davon abgeleitet. Außerdem steckt
es im engl. Wort "Airport" für den Flughafen, der
früher in Deutschland "Lufthafen" hieß. Heute
ist "Port" auch ein medizinischer Fachbegriff als Kurzwort
für einen Port-Katheter als dauerhaftem Zugang zum venösen
oder arteriellen Blutkreislauf.
P.S.:
Bei dem Titelblatt der Kreuzstabkantate,
das zwar von dem Bach - Kopisten Christian Gottlob Meißner
geschrieben wurde, aber Bachs Vorstellung von Symbolik entsprach,
begegnen wir dem griechischen Buchstaben X für Christus,
der aber zugleich ein Kreuz symbolisiert.
|