Glocken-
und andere Kirchengeschichten aus dem Schaumburger Land,
die der Nachwelt erhalten bleiben sollten
Dr.
Heinrich Schäfer
(erster Direktor des 1965 gegründeten Gymnasiums
in Diez, heutiges Sophie-Hedwig-Gymnasium)
Kirchenglocken begleiten
den Christenmenschen von der Wiege bis zur Bahre. Sie gehören
in einer christlich geprägten Umwelt einfach dazu, wie die
Kirchen selbst, die Kapellen, Wegkreuze und andere christliche
Einrichtungen und Symbole. Die Glocken rufen den Menschen zum
Gebet am Morgen und am Abend und zu den Gottesdiensten und anderen
kirchlichen Handlungen, wie Taufen und Beerdigungen und Hochzeiten.
Im Schaumburger Land, das im wesentlichen den Bereich der Pfarrgemeinden
Balduinstein und Cramberg - Habenscheid umfasst, gab und gibt
es seit alters her Kirchenglocken, darunter sehr alte und z.T.
kriegsbedingt auch neue. Die Erforschung der Glocken im ehemaligen
Herzogtum Nassau ist relativ neu. Einen ersten Beitrag finden
wir in den Nass. Annalen 63. Band 1952 von D. Berger, der im wesentlichen
auf den Vorarbeiten des in der Stadt Nassau wohnenden und lehrenden
Pädagogen R. Mackeprang beruht. Er trägt den Titel:
"Die Herkunft der nass. Glocken. Auf Grund des Glockengießerwerkes
von R. Mackeprang bearbeitet mit 3 Karten".
Auch für das Schaumburger Land, das aus den Herrschaften
Schaumburg und Balduinstein, dem reichsritterlichen Ort Wasenbach
und dem Weiler Bärbach, südlich von Habenscheid gelegen,
besteht, sind noch Fragen offen und bedürfen weiterer Untersuchungen.
Die älteste Kirchenglocke dürfte im Turm der Mutterkirche
in Habenscheid gehangen haben, denn diese uralte Kirche wurde
bereits im 10. Jahrhundert von den Mönchen des Benediktinerklosters
Bleidenstadt/Taunus erbaut und versehen mit einem Altar des Klosterpatrons,
des Heiligen Soldatenmärtyrers Ferrutius aus der römischen
Garnison Mainz. Später im 16. Jh. kam eine zweite Glocke
in diese Kirche, die ursprünglich im Klarissen-Kloster Bärbach
(Orden der Franziskanerinnen) gehangen hat. Dieses Kloster wurde
1334/35 durch eine Stiftung der Grafen von Nassau und Katzenelnbogen
gegründet. Die noch in Resten vorhandene Klosterkirche ist
1344 geweiht worden. Der Altar war Christus, dem Herrn (Salvator)
gewidmet. Vermutlich stammt die zweitgrößte Glocke
der Kirche in Habenscheid mit einem Gewicht von 400 Pfund, die
heute in der Kirche in Wasenbach hängt, aus der Kirche des
Klosters in Bärbach. Sie trägt in neugotischen Majuskeln
die Inschrift: "Vox ego sum vitae. voco vos. orare venite"
(Ich bin die Stimme des Lebens, ich rufe euch, kommt beten). So
hängen heute in der 1909/10 errichteten Kirche in Wasenbach
drei alte Glocken, die wegen ihres Alters und ihrer kunstgeschichtlichen
Bedeutung in den beiden Weltkriegen nicht eingeschmolzen wurden.
Völlig anders verlief die Glockengeschichte in der Kirchengemeinde
Cramberg. Die in den Jahren 1789-91 errichtete spätbarocke
Pfarrkirche geht auf eine Kapelle zurück, die an gleicher
Stelle stand und erstmals 1319 erwähnt wurde. Damals stifteten
der Ritter Marquard von Laurenburg - später von Cramberg
- und seine Frau Cäcilie, die in Cramberg wohnten, einen
Altar für die Kapelle, der dem Heiligen Vincentinus geweiht
war. Vincentinus Levita war Archidiakon des Bistums Saragossa
in Spanien im 3. Jh. nach Christus und erlitt bei der Christenverfolgung
des Kaisers Diokletian unter besonders grausamen Umständen
das Martyrium. Er wird seit der fränkischen Zeit besonders
in Spanien und Deutschland verehrt. Vermutlich gab es in der Cramberger
Kapelle, wie auch in der Burgkapelle in Balduinstein, einen zweiten
Altar. Er war der aus dem Neuen Testament, besonders der Ostergeschichte,
bekannten Heiligen Maria Magdalena geweiht. Dies kann deshalb
geschlossen werden, weil in der Cramberger Kapelle zwei Glocken
hingen, von denen die kleinere etwa 70 Pfund schwere Glocke eine
Inschrift trug: "S. MARIA MAGDALENA S. VINCENTIUS".
Auch in der Castor-Kirche in Dausenau ist 1319 ein weiterer Altar
der HL. Maria Magdalena geweiht worden. Die zweite etwa 100 Pfund
schwere Glocke trug in gotischen Majuskeln die Inschrift: "MAGISTER
IOHANNES DE MOGONCIA". Sie dürfte mit Sicherheit aus
der Mitte des 14. Jh. stammen und von dem bekannten Glockengießer
Johann von Mainz gegossen worden sein. Andere Glocken, die vom
ihm gegossen wurden, befinden sich in Hallgarten, Braubach, Wellmich
und Schierstein. Beide Glocken wurden in die 1789-91 errichtete
Pfarrkirche übernommen. Die Glocken waren relativ klein und
auf die Töne "c" und "cis" eingestimmt
und ergaben, wie der Cramberger Pfarrer Holzhausen 1903 schrieb,
eine "schrille Disharmonie". Auch die Gemeinde selbst
wollte ein größeres und klangvolleres Glockenensemble
haben. Also beschloss man zu Beginn des letzten Jahrhunderts zwei
neue Glocken zu kaufen und die alten in Zahlung zu geben. Der
kunstgeschichtliche Wert der Glocken wurde nicht erkannt. Man
hätte, wie heute allgemein üblich, die Glocken behalten
und einem anderen Zweck z.B. als Totenglocke auf dem Friedhof
oder als Alarmglocke bei Brandgefahr einsetzen können. Es
wurden zwei neue Glocken beim Hofglockengießermeister Franz
Schilling von der Gießerei Ulrich in Apolda in Thüringen
bestellt und Ende 1902 gegossen. Ihr Gewicht betrug 253 bzw. 126
kg und sie waren auf die Tonhöhen "c" und "e"
eingestimmt. Am 03. März 1903 sind sie in einer feierlichen
Zeremonie auf den vom Zimmermeister Adolf Jakob Schäfer von
Cramberg erneuerten Glockenstuhl im Turm der Kirche aufgezogen
worden. Die Glocken kosteten 715,20 Reichsmark. Damit hatte die
Kirche ein ihrer Größe und Bedeutung angemessenes Glockenensemble.
Vor dem ersten Weltkrieg wurde den beiden Glocken unter Pfarrer
Eibach eine dritte Glocke hinzugefügt, die auf die Tonhöhe
"a" eingestimmt war. Sie war bei der Glockengießerei
Rincker in Sinn im Westerwald gegossen worden.
Die Gemeinde Cramberg hatte nur wenige Jahre Freude an dem schönen
und klangvollen Geläute, denn im Weltkrieg 1914 -18 wurden
vor allem Bronze - Glocken zur Herstellung von Kanonen, Granaten
und anderem Kriegsgerät verwendet. So läuteten die Glocken
nach dem Eintreffen der Abgabeverfügung im Abendgottesdienst
vom 24.6.1917 zum letzten Male. Am 21. August 1917 wurden sie
zum Dorf hinausgefahren und abgeliefert. Der Gemeinde ist eine
kleine armselige "Betglocke" zur Verfügung gestellt
worden.
Nach dem Ende des Krieges bemühten sich Pfarrer Lauth und
die Kirchengemeinde sofort um die Beschaffung eines neuen Geläutes.
Man bestellte zwei neue große Glocken bei der Firma Rincker
in Sinn, die dann nach Pfingsten 1922 am Trinitatissonntag in
einem feierlichen Weihegottesdienst in Dienst gestellt wurden.
Was die Tonhöhe betraf, so ergänzte die etwas kleinere
"cis"- Glocke die größere "dis"-
Glocke sehr gut. Beide ergaben einen guten Zusammenklang. Die
Glocken hatten 35000 Mark gekostet und wurden mit einem Darlehen
von 13000 Mark und Spenden von 22000 Mark bezahlt. Die Inflation
im Jahre 1923 dürfte die Rückzahlung des Darlehens wesentlich
erleichtert haben. Somit besaß die Gemeinde für ca.
20 Jahre ein durchaus ansprechendes Glockenensemble.
Im zweiten Weltkrieg (1939-45) musste nur die "dis"-
Glocke abgeliefert werden. Die "cis"- Glocke blieb erhalten.
Nach dem Krieg dauerte es eine ganze Weile, bis genügend
Geld gesammelt und ein neues Geläut in Auftrag gegeben werden
konnte. Wiederum war es die Glockengießerei Rincker in Sinn,
die von Pfarrer Kuhmann und dem Kirchenvorstand den Auftrag erhielt.
Im Jahre 1959 war es dann soweit, dass die Glocken geliefert und
aufgezogen werden konnten. Die noch vorhandene "cis"-
Glocke war durch Einschleifen bei Rincker in Sinn auf die beiden
neuen Glocken eingestimmt worden. In einem feierlichen Gottesdienst
sind die Glocken Mitte April 1959 vom früheren Pfarrer Scherer
geweiht worden. Die alte "cis"- Glocke von 1922 erhielt
den Weihespruch: "O Land, Land, höre des Herrn Wort",
die kleinere Morgenglocke, auf "e" abgestimmt, den Spruch:
"Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben". Die
dritte Glocke, auf "h" gestimmt, steht unter dem Wort:
"Herr bleib bei uns, denn es will Abend werden".
Nun läutet die Mittagsglocke seit 1922, die Abend- und die
Morgenglocke seit 1959 vom Kirchturm der Cramberger Kirche und
wir wollen hoffen, dass uns der Friede erhalten bleibt und nie
mehr Glocken als Kanonenfutter dienen müssen. Insgesamt eine
wechselvolle Glockengeschichte mit Höhen und Tiefen, aber
immer wieder gab es Menschen, die auch in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten Geld für Glocken gespendet und damit auch ihren Glauben
bezeugt haben.
Pfarrdienst und Seelsorge
in einem weit auseinander liegenden Kirchspiel, wie in Cramberg-Habenscheid,
erfordern von den Pfarrern ein hohes Maß an Mobilität,
die heute mit einem PKW sichergestellt wird. Ganz anders waren
die Verhältnisse zu früheren Zeiten. Entweder war der
Pfarrer gut zu Fuß oder er musste sich mit einem damals
üblichen Transportmittel, dem Pferd oder dem Pferdewagen
begnügen. Die im 18. und 19. Jahrhundert üblichen zweisitzigen,
einspännigen Chaisen, d.h. zweirädrigen mit und ohne
Bedeckung ausgerüsteten Holzwagen, waren kostspielig in der
Beschaffung und Unterhaltung, also begnügte man sich meist
mit dem Reiten auf dem Pferd. Von der Pfarrerdynastie Roth (Großvater,
Vater und Sohn waren im 18. Jahrhundert nacheinander fast 100
Jahre Pfarrer in Cramberg) weiß man, dass sie das Pferd
benutzten, also regelmäßig zum Gottesdienst nach Habenscheid
aber auch zu Beerdigungen, Taufen, Krankenbesuchen etc. auch bis
Bärbach und Biebrich ritten. In Habenscheid besaßen
sie sogar eine Unterstell- und Pflegemöglichkeit beim Hofpächter.
Der letzte Pfarrer, der ein Pferd benutzte, war Pfarrer Scherer
(1923 bis 1927 Pfarrer in Cramberg). Als Offizier einer berittenen
Einheit im ersten Weltkrieg hatte er sowohl reiten als auch den
Umgang mit Pferden gelernt, er war ein passionierter Reiter. Eine
Unterkunft war in einem Stall neben dem Pfarrhaus vorhanden, den
Hafer und sonstigen Bedarf aus der Natur besorgte er beim Nachbarn
in der Pfarrgasse, dem Bauern Philipp Koch. Wenn er auch gelegentlich
vergaß, den Hafer pünktlich zu bezahlen, so tat dies
dem gutnachbarlichen Verhältnis der beiden keinen Abbruch.
Einmal war in Biebrich ein neuer Erdenbürger geboren worden
und der Pfarrer hatte mit der Familie die Taufe verabredet. Pfarrer
Scherer schwang sich auf das Pferd und ritt über Wasenbach
nach Biebrich. Dort angekommen war die Kaffeetafel schon vorbereitet,
Kaffee und frisch gebackener Kuchen dufteten verführerisch,
und der Pfarrer wurde gebeten, sich nach langem Ritt erst einmal
zu stärken. Man kam ins Gespräch, die Zeit rann dahin
und der Pfarrer dachte schon daran, nach Hause zu reiten. Das
große Tuch, gefüllt mit Kuchen für die Pfarrersfamilie,
lag schon zum Mitnehmen bereit, als die beherzte Großmutter
der Familie den Pfarrer diskret an den Zweck seines Besuches erinnerte.
Sofort vollzog der Pfarrer die Taufe und ritt mit seinem Pferd,
das inzwischen auch gut versorgt worden war, nach freundlicher
Verabschiedung nach Cramberg zurück.
Pfarrer Scherer beendete seinen Pfarrdienst in Cramberg - Habenscheid
im Jahre 1927 und trat in Übersee, in Blumenau, einer deutschen
Siedlung nahe Sao Paulo in Brasilien seinen Dienst an. Ob er dort
ein temperamentvolles südamerikanisches Pferd zu Dienstzwecken
benutzt hat, ist anzunehmen, aber dem Autor dieser Zeilen nicht
bekannt.
Der Nachfolger von Pfarrer Scherer, Pfarrer Felsch, kaufte sich
ein Automobil, das auch seinen Dienst fast regelmäßig
versah, wenn es denn mit Benzin und Kühlwasser für den
Motor ausreichend versorgt war. Somit war das Problem der Mobilität
in einer stark dislozierten Pfarrei ein für alle Mal gelöst.
Quellen und Literaturhinweise zur weiteren Forschung
1. Pfarrarchiv Cramberg
- Habenscheid
2. Berger D.: Die Herkunft
der nass. Glocken. Auf Grund des Glockengießerwerkes von
R. Mackesprang bearbeitet,
mit 3 Karten S. 218 - 231 Nass. Ann. 1952
3. Brommer Peter und
Krümmel Achim
Klöster und Stifte am Mittelrhein
Wegweiser Mittelrhein Heft 6
Koblenz 1998
4. Crone Mare-Luise
, Kloft Mathias Th. , Hefele Gabriel
Limburg Geschichte des Bistums Bd. VI Heilige und Selige
Strasbourg 1998
5. Schäfer Heinrich
, Kalkofen Roland
Die Kirche zu Habenscheid. Einblicke in ihre über 1000-jährige
Geschichte
Diez 1999
6. Schäfer Heinrich
200 Jahre evangelische Kirche in Cramberg
1791 - 1991 Zur Geschichte des Gotteshauses und der
Kirche im Kirchspiel Cramberg-Habenscheid
In Festschrift 200 Jahre ev. Kirche in Cramberg
Diez 1991
7. Luthmer Ferdinand
Die Bau- und Kunstdenkmäler des Reg. Bez. Wiesbaden Nachlese
und Ergänzungen zu den Bänden I bis V
Seite 152 - 155 Verzeichnis der auf den Glocken des jetzigen Regierungsbezirks
Wiesbaden vom 14. bis zur Mitte des 19. Jh. nachweisbaren Glockengießer
Seite 99 - 100 BALDUINSTEIN
Nachtrag zu Michel Fritz Geschichte von Balduinstein und Hausen
KAPELLENRUINE III S. 226 ff.
Frankfurt am Main 1921
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