Vom Alter(n)
Alt
werden will jeder, älter werden niemand.
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Die
Menschen sind wie das sprießende Gras.
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Am
Morgen wächst es und blüht.
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In
Psalm 90, 5/6 wird das menschliche
Leben mit Gras verglichen. Mit dem Sprießen und Wachsen
am Morgen sind Kindheit und Jugend gemeint, mit dem Abschneiden
am Abend Alter und Tod. In früheren Zeiten sprach man in
Anlehnung an diese Bibelstelle vom Tod als "Schnitter"
bzw. "Sensenmann".
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Am
Abend wird es abgeschnitten und verdorrt.
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Psalm
90,1:
Ein Gebet des Mose, des Mannes Gottes
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Ob Obst, Milchprodukte
oder Wurst - alle Lebensmittel sind nur begrenzt haltbar. Wenn es
auch auf technische Geräte ein, zwei oder mehr Jahre Garantie
gibt, auch sie geben eines Tages den Geist auf, ganz gleich, ob es
sich um die Festplatte eines Computers, die Platten eines Elektroherds
oder den Motor eines Autos handelt. Am Auto nagt der Zahn der Zeit
zusätzlich noch durch korrosionsbedingten Rost oder durch den
Verschleiß der Gummireifen. Alle Lebewesen unterliegen dem Altern
und der Sterblichkeit. Drei Lebewesen werden durch ihre guten genetischen
Voraussetzungen besonders alt: die Wale und die Riesenschildkröten
(200 Jahre und mehr) und ein im antarktischen Meer lebender Riesenschwamm,
den man in biblischer Anlehnung als den "Supermethusalem"
[ 1. Mose 5, 27] bezeichnet,
weil er ein Alter von ca. 10.000 Jahren erreicht. Aber dann ist auch
bei ihm Schluss. Letztlich trägt alles auf unserem Planeten den
Stempel der Vergänglichkeit. "Die Jahre fliehen pfeilgeschwind",
so lesen wir es in Schillers «Lied von der Glocke». Diese
Behauptung empfinden ältere Menschen natürlich wesentlich
intensiver als junge und das nicht ohne Grund, da mit der tickenden
Lebenszeit unausweichlich das Altern verbunden ist und das wiederum
hat seine zahlreichen negativen Folgen. Die erste und augenscheinlichste
Veränderung ist die Alterung der Haut und der Haare. Die Haut
verliert an Elastizität, wird derb und faltig, das Haar ergraut,
falls überhaupt noch vorhanden, und das ist nicht gerade ein
erhebendes Gefühl, gilt doch die Haut als "Spiegel der Seele"[
Redensart: aus der Haut fahren]. Im Anfangsstadium des "Agings" helfen
vielleicht noch "Anti-Aging-Cremes", aber irgendwann "ist der Lack
ab", wie es uns eine Redensart bildhaft vor Augen führt und früher
oder später bekennt sich jeder freiwillig oder unfreiwillig zu
seinem nicht mehr jugendlichen Aussehen, spätestens dann, wenn
es mit dem "Vertuschen" mittels Schminke und Färben der Haare
nicht mehr glaubhaft möglich ist. Weil heute keiner mehr so schnell
zum "alten Eisen" gehören will, gibt es unzählige Fitness-
und Wellnessangebote. Mit fortgeschrittenem Alter kommen aber auch
gesundheitliche Veränderungen hinzu, die dann die äußeren
Faktoren ohnehin überlagern und quasi unbedeutend werden lassen.
Hierzu zählen besonders Gelenkerkrankungen, die ein einwandfreies
Gehen verhindern. Wenn Gelenkoperationen nichts mehr bringen, greift
man wohl oder übel auf eine Gehhilfe, sprich einen Stock zurück.
Aber auch Seh- und Hörschwächen erschweren den Alltag. Nicht
zuletzt sind die Zähne zu nennen, die irgendwann in einer Prothese
enden. Das Gedächtnis, insbesondere das Kurzzeitgedächtnis,
lässt nach.
Mit der Zunahme der Lebenserwartung (>
Schlagwörter / Unwörter: Überalterung, Gruftis)
in den letzten Jahrzehnten hat sich ein bis dahin nur wenige Menschen
betreffendes Problem ergeben: die statistisch signifikante Zunahme
der Altersdemenz. Die fast zu einem geflügelten Wort gewordene
Alzheimer-Krankheit mit progredienter Demenz geht mit einem bedrückenden
Persönlichkeitsverlust einher und die psychisch stark veränderten
und orientierungslosen Leute benötigen eine intensive pflegerische
Betreuung. Man wird daher in Zukunft immer mehr Alten- und Pflegeheime
brauchen, zumal viele Alte heute, auch wenn sie Kinder haben, schon
bei gewöhnlicher Altersgebrechlichkeit oft nicht mehr von diesen
betreut werden können, weil die Jungen häufig weit weg ihren
Arbeitsplatz haben.
Den ersten Teil
abschließend hier noch eine rein sprachliche Anmerkung: Man
spricht heute nicht mehr von Alten ( > Bedeutungsverschlechterung
wie bei dem Wort "Weib"), sondern von Senioren, obwohl das an der
Tatsache nichts ändert. Und das Altersheim trägt nun beispielsweise
die beschönigende Bezeichnung "Senioren-Residenz".
Kindheit, Jugend
und Alter - das gab es schon seit Menschengedenken und diese drei
Lebensstadien sind schon eh und je sowohl in der geistlichen und weltlichen
Literatur mit der Natur, mit den Jahres- und Tageszeiten ( > Begriff
"Lebensabend") in Verbindung gebracht worden. Die unbeschwerte Kindheit
wird dem Frühling bzw. dem Morgen, das Alter dem Herbst bzw.
dem Abend und der Tod dem Winter bzw. der Nacht zugeordnet. Nicht
ohne Grund ist "schwarz" (wie die Nacht) die Farbe der Trauer.
Kein Lyriker hat die Beziehung zwischen
dem Herbst in der Natur und dem Altern besser zum Ausdruck gebracht
als Hermann Hesse in seinem Gedicht "Nebel", bei dem er in der ersten
Strophe die Einsamkeit der Natur im Nebel, in der vierten Strophe
die Einsamkeit des Menschen (am Lebensabend) anspricht. Wenn
er in der zweiten Strophe sagt "Voll von Freunden war mir die
Welt, als mein Leben noch licht (=hell) war", dann meint er damit
Folgendes: Mit dem Älterwerden sterben Freunde und Bekannte,
vielleicht sogar (jüngere) Familienangehörige weg. Altern,
Nachlassen der Kräfte und Vereinsamung nehmen "unentrinnbar und
leise" (3. Strophe) zu, eine Tatsache, die jungen Menschen zu verstehen
noch schwer fällt, weil das Alter noch in weiter Ferne ist. Solange
der Mensch noch voll im Leben steht, hat er zahlreiche Freunde und
genießt Anerkennung und Wertschätzung. Aber das ändert
sich oft schon schlagartig mit dem Eintritt ins Renten-/Pensionsalter
(auch bei früher Invalidität), wenn die Weggefährten
keinen privaten Nutzen mehr in der jeweiligen Person sehen. Selbst
der große Johann Sebastian Bach spürte im Alter, dass er
mit seiner Musik nicht mehr beim Publikum ankam. Die Kompositionen
seiner Söhne Friedemann und Emanuel entsprachen inzwischen mehr
dem Zeitgeschmack und man nannte ihn etwas despektierlich "die
alte Perücke". Dass sich seit Bachs Zeiten nichts geändert
hat, bewies ein Zeitungsartikel, dessen Schlagzeile lautete: Fernsehen
ekelt Alt-Stars raus. Einst waren sie Publikumsmagnete, jetzt sind
sie Quotenkiller.
Papst Johannes
Paul II. hielt in seinem Amt bewusst bis zum bitteren Ende durch und
wollte mit seiner körperlichen Gebrechlichkeit im Alter der an
Jugendlichkeit orientierten Gesellschaft demonstrieren: Das Leben
hat auch dann noch einen Wert, wenn es von Alter und Krankheit gezeichnet
ist. Dass er nicht zurücktrat, begründete er damit, dass
Christus in seinem Leiden auch nicht vom Kreuz herabgestiegen sei.
Psalm 90, 12:
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug
(weise) werden.
In Anlehnung
an diese Bibelstelle hier noch ein lesenswerter Text zu sukzessivem
"Sterben" vor dem Tod:
ARD 14.04.2018 Wort zum Sonntag - Pastor Christian Rommert
Mein Blick auf alte Menschen hat sich in den letzten Monaten sehr
verändert. Über ein Jahr lang habe ich einen Freund auf
seiner letzten Reise begleitet. 83 Jahre war er alt. Dann musste
er seine Wohnung aufgeben. Er war gezwungen, in ein Pflegeheim zu
gehen. Ich habe das miterlebt. Der ganze Schmerz über den Verlust
von geliebten Erinnerungen, die er nicht mitnehmen konnte, weil
kein Platz war. Der Schmerz über den Verlust von Privatsphäre.
Wenn ich ihn besucht habe, hörten wir vom Flur ständig
irgendwelche Geräusche. Oft saßen wir zusammen und irgendein
Mitbewohner, irgendeine Mitbewohnerin kam ungefragt in sein Zimmer.
Weil sie verwirrt waren. Er erzählte mir, wie es ihn störte,
dass er nicht mehr allein duschen durfte. Selbst da immer jemand
dabei!
Manchmal haben wir auch über das Sterben gesprochen. Diesen
letzten großen Verlust. Er war auch Christ und wir beide kannten
diesen Vers aus der Bibel: "Herr, lehre uns bedenken, dass
wir sterben müssen, auf das wir weise werden." Bis vor
kurzem habe ich das immer so verstanden: Carpe diem! Lehre uns,
dass unser Leben nicht unendlich ist. So dass wir jeden Tag nutzen.
Doch das Problem meines Freundes war aber gar nicht so sehr das
Sterben. Er lebte mit der Hoffnung, dass es für ihn in Gottes
Welt weitergeht. Das Problem für ihn war das Altwerden - vor
dem Sterben! Herr, lehre uns bedenken, dass wir alt werden müssen,
auf dass wir weise werden! Denn auf einmal wird alles endlich: Nicht
nur das Leben. Auch meine persönliche Freiheit, meine Mobilität,
meine Intimität, meine Gesundheit, meine Freundschaften, meine
Beziehungen sind endlich. Von einem Moment auf den anderen zu sterben,
das wäre gar nicht das Schlimmste gewesen, aber die kleinen
täglichen Abschiede. Das war, was ihm Not bereitete.
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, bisher war das alles weit weg
für mich: Altwerden, die Situation in der Altenpflege, der
Druck der Pflegerinnen und Pfleger. Ich habe so gelebt, als wenn
der Winter nie käme. Jetzt aber ist das anders: "Herr,
lehre uns bedenken, dass wir alt werden müssen." Das macht
mich in meiner Situation betroffener als das Nachdenken über
das Sterben. Wie will ich alt werden? Wie will ich mit den Menschen,
die um mich herum alt werden, umgehen?
In Bremen testet die Deutsche Post gerade gemeinsam mit einigen
Wohlfahrtsverbänden ein neues Modell im Umgang mit dem Alter.
Und natürlich auch ein neues Geschäftsfeld. Postbotinnen
und Postboten sollen in Zukunft bei alten Menschen nach dem Rechten
sehen. Es soll regelmäßige Haustürgespräche
geben und bei Bedarf und im Notfall werden Ansprechpersonen informiert.
Die Post versucht gezielt, Freiwillige dafür zu werben. Also
Menschen, die Nachbarschaftshilfe leisten können. Freiwillige,
die ältere Menschen im Haushalt unterstützen wollen, sie
beraten oder einfach Zeit mit ihnen verbringen. Das ist doch ein
guter Anfang. Meinem Freund hätte das sicherlich gefallen.
Ich - ich würde mich freuen, wenn solch ein Service erprobt
und etabliert ist, wenn ich einmal alt bin. Das wären ein paar
Abschiede weniger! Ich würde mich freuen, wenn mir vor dem
Sterben, das Altwerden etwas erleichtert werden würde! Herr
lehre uns bedenken, dass wir alt werden müssen, auf das wir
besser mit unseren Alten umgehen und weise werden! Das wäre
mein Fazit aus den letzten Monaten.
Mein Freund ist jetzt bei Gott. Dort ist er gut aufgehoben. Mir
hat er einen neuen Horizont eröffnet. Einen neuen Blick auf
Menschen, die älter sind als ich und auf mein eigenes Altwerden.
Das Auf und Ab im Leben - Die Lebenstreppe
Keine
Kunst ist's alt zu werden; es ist Kunst, es zu ertragen.
(Goethe in "Zahme Xenien")
Verwirf
mich nicht in meinem Alter,
verlass mich nicht, wenn
ich schwach werde.
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